Fachartikel: Braucht der gehörlose Hund einen menschlichen Assistenten?

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Tipps von den Hundecoaches


Welche Gründe es für Taubheit gibt und welche Möglichkeiten es im täglichen Umgang mit einem hörbeeinträchtigten Hund gibt, erfahren Sie in unserem Fachartikel in der neuesten Ausgabe des Magazins „Tierisch Gesund“ 4/23 zum Thema Haut und Ohren oder gleich hier in diesem Beitrag.

Fachartikel: Braucht der gehörlose Hund einen menschlichen Assistenten? (PDF)

Autoren: Ana Lienert / Oliver Weber


Wenn das Hörvermögen des Hundes plötzlich verschwindet, ist dies natürlich auch für den Hund in unserer menschlichen Welt nicht ganz ungefährlich, da er die Umwelt nun anders wahrnimmt.

Alleine schon der Strassenverkehr, Velofahrer, Kinder auf Fahrgeräten, aber auch landwirtschaftliche Fahrzeuge, die man oft zuerst akustisch wahrnimmt, können für den Hund zur Gefahrenquelle werden.

Sicherheit geht in jedem Fall vor. Wo vielleicht vor der Sinneseinschränkung noch ein gemütlicher Freilauf mit dem Hund Alltag war, bedeutet es in der neuen Situation für den Hundebesitzer, weit vorausschauend zu agieren statt zu reagieren.

Ich als Mensch übernehme klar die Führung und Verantwortung, leine meinen Hund lieber einmal mehr an und sorge für Sicherheit und Ordnung in den Begegnungen. Ein sorgsamer und liebevoller Umgang mit dem Hund ist wichtig für die Bindung und Beziehung, er muss sich in jeder Situation auf seinen Menschen verlassen können.

Gründe für Taubheit bei Hunden

Hunderassen mit erhöhtem Risiko einer genetisch bedingten Taubheit

Hunde wie auch Menschen können mit einem Hörverlust (Taubheit) auf die Welt kommen, ein sogenannt genetisch bedingter Hörverlust. Heute ist bekannt, dass rund 90 Hunderassen eher gefährdet sind als andere Rassen. Die bekanntesten Hunderassen mit einem erhöhten Risiko der geburtlichen Taubheit sind:

  • Australien Shepard
  • Border Collies
  • Bullterrier
  • Dalmatiner
  • Boxer
  • English Setter
  • Australian Cattle Dog
  • English Cocker Spaniel
  • Jack Russel Terrier
  • Boston Terrier
  • Dogo Argentino
  • Malteser

Bei allen diesen genannten Rassen sind meist die Fellfarben Merle oder Weiss ein Hinweis auf ein erhöhtes Risiko der Taubheit. Deshalb schon hier Augen auf vor dem Hundekauf und lassen Sie sich bei professionellen und seriösen Züchter/Innen beraten.

Wenn andere Gründe zum Hörverlust führen

Auch im Laufe des Lebens kann ein Hund sein Hörvermögen verlieren. Da spricht man von einem erworbenen Hörverlust, z. B. durch Infekte, Unfall, Misshandlung, Tumoren etc.

Wenn ein Hund seit Geburt ohne Gehörsinn auf- wächst, dann kennt er schlichtweg nur die stille Welt und auch sich selbst nur so.

Wenn jedoch ein Hund mitten im Leben steht und durch obengenannte Gründe seine Hörfähigkeit verliert, kann das einschneidende Wirkung auch auf sein Verhalten haben.

Da unterscheiden sich Hund und Mensch gar nicht so grundlegend. Vielfach schürt es natürlich am Anfang unglaubliche Ängste und Unsicherheiten, wenn plötzlich ein Sinneskanal komplett wegfällt. Mit der Zeit werden jedoch die restlichen Sinnesleistungen und Kanäle gestärkt und kompensieren den Verlust des einen Kanals auf andere Weise. So wird der Hund zwangsläufig vermehrt über Nase, Augen und taktile Wahrnehmung arbeiten.

Umgang und Training eines tauben Hundes

Der mentale menschliche Aspekt, das richtige Mindset

Wenn Menschen auf einen Hund treffen, der in seiner physischen oder psychischen Gesundheit beeinträchtigt ist, löst das bei vielen Mitleid aus und aktiviert den sogenannten «Helferinstinkt».
 Je nach Veranlagung des Menschen kann das Mass des Mitleidgedankens für die Genesung oder für das Training eines beeinträchtigten Hundes nicht zielführend sein, weil damit die Entwicklung blockiert werden kann. Besser man stellt sich darauf ein, dass das Training mit einem gehörlosen Hund mehr Zeit, Geduld und Kreativität erfordert und behält das Ziel einer angemessenen, vertrauens- vollen Kommunikation mit seinem Vierbeiner vor Augen.

Hilfreich ist auch die Verbindung zum Menschen. Hat ein Hund eine gute Bindung zum Menschen, dann ist die Kontaktaufnahme durch den Hund, etwa durch Blickkontakt, viel eher zu erwarten. Eine ruhige und bestimmte mentale Grundhaltung des Menschen fördert dies.

Es ist für den Hundebesitzer enorm wichtig, mit viel Mitgefühl, aber wenig Mitleid zu arbeiten. Hunde möchten geführt und nicht bemitleidet werden. Auch ein tauber Hund benötigt klare, konsequente Regeln, Anweisungen und Grenzen, um in unserer menschlichen Welt klarzukommen.

Je natürlicher wir trotz Beeinträchtigung mit dem Hund umgehen, desto einfacher wird auch der Umgang, das Zusammenleben und das Training werden.

Die Möglichkeiten des Trainings bei einer Hörbeeinträchtigung

Grundsätzlich unterscheidet sich das Training nicht komplett von einem «gewöhnlichen» Training, ausser dass sich der Hund auf einen Sinneskanal weniger verlassen kann und wir Menschen uns von dem gewohnten akustischen Kommunizieren distanzieren und uns unserer Körpersprache bewusster werden sollten.

Es erfordert aber eine etwas andere Herangehensweise, da der Hund nicht auf akustische Signale reagieren kann. Stattdessen müssen wir visuelle und taktile Reize verwenden, um mit ihm zu kommunizieren und ihm beizubringen, grundlegende Gehorsamkeitskommandos zu befolgen.

Viele klassische Konditionierungssignale oder Kommandos wie Sitz, Platz, Fuss, Bleib, Stopp können sowohl über die verbale als auch über die visuelle Ebene ablaufen. Um erfolgreich mit einem gehörlosen Hund zu arbeiten, sollten wir uns auf visuelle Signale beschränken. Diese sollten klar, eindeutig und konsistent sein, damit der Hund sie schnell erkennt und versteht.

Taktile Signale können mit Hilfsmitteln wie einem Halsband mit Vibrationsmechanismus gegeben werden. Möchten wir dem Hund auf Distanz sagen, dass er kommen soll, kann das Signal die Aufmerksamkeit auf uns lenken. Mit entsprechenden visuellen Signalen, also zum Beispiel einer eindeutigen Handbewegung, kann dem Hund das gewünschte Verhalten anschliessend angezeigt werden.

Das Training beginnt am besten in einem ruhigen, ablenkungsfreien Raum, damit der Hund seine volle Aufmerksamkeit auf uns richten kann. Eine gute Möglichkeit, das Training zu beginnen, sind Gehorsamkeitskommandos wie «Sitz» und «Bleib». Wir können eine Handbewegung verwenden, wie z. B. das Heben eines Fingers, um den Hund dazu zu bringen, sich zu setzen, und dann eine andere Handbewegung, wie das Zeigen der flachen Hand, um den Hund anzuweisen, zu bleiben.

Es ist wichtig, dass wir positive Verstärkungstechniken wie Belohnungen und Lob verwenden, um den Hund zu ermutigen und zu motivieren. Leckerli oder Spielzeug können als Belohnung verwendet werden und Lob und Streicheleinheiten sind eine gute Möglichkeit, dem Hund zu zeigen, dass er etwas gut gemacht hat.
Zudem ist es wichtig zu beachten, dass das Training von gehörlosen Hunden mehr Zeit und Geduld erfordern kann als das Training von hörenden Hunden.

Ein Klickertraining, das auf rein akustischen Signalen basiert, wird bei einem gehörlosen Hund nicht sinnvoll angewendet werden können.

Wenn der menschliche Körper zur Kommunikationsfläche wird

Beim Training oder im täglichen Umgang mit einem hörbehinderten Hund tritt die verbale Kommunikation in den Hintergrund. Vielmehr findet die Verständigung über die Körpersprache, Gestik und Mimik statt.
Dies kann für viele Hundebesitzer am Anfang ziemlich herausfordernd sein, da Menschen fast automatisch und aus Gewohnheit sprechen. Wir Menschen haben leider die Angewohnheit, unsere Hunde zu «zertexten» im wahrsten Sinne des Wortes. Damit ist in der neuen Situation definitiv Schluss und wir kommunizieren sogenannt «nonverbal».

In unseren Trainings erleben wir öfters, dass sich die Hundehaltenden nicht bewusst sind, dass sie via Körpersprache immer Wirkung zeigen und Signale senden, auch unbewusst. Das kann am Anfang natürlich auch beim Hund Missverständnisse auslösen.

Damit sich die Körpersprache, Gestik und Mimik perfektioniert, setzen wir vermehrt auf Videotechnik, mit welcher wir die Hundehaltenden in ihrer Kommunikation filmen und anschliessend im Detail schulen, wenn es im Ausdrucksverhalten Potenzial nach oben gibt.

Nur wenn wir uns ganz klar werden, wie wir wann genau wirken, können wir auch klar kommunizieren.

Technische Hilfsmittel beim Training

Beim Training eines Hundes mit einer Hörbehinderung können wir nebst taktilen und visuellen Mitteln auch auf technische Hilfsmittel zurückgreifen. Ganz wichtig: Nehmen Sie bei Unsicherheiten die Hilfe eines professionellen Trainers oder Coachs in Anspruch, da es wichtig ist, den nicht hörenden Hund vor Gefahren zu schützen und keine falschen Verknüpfungen durch das Training einschleichen zu lassen.

Gute Dienste für die Kontrolle auf Distanz leisten geeignete Schleppleinen oder der Einsatz von Vibra-tionshalsbändern mit Fernbedienung.

Sollten Fragen zur Legalität der Halsbänder auf- tauchen, kann Ihnen Ihr zuständiges kantonales Veterinäramt oder das BLV weiterhelfen.

Auf jeden Fall sind im Umgang und Training Zeit, Empathie und Verständnis eine Grundvoraussetzung für den langfristigen Erfolg.